Gustav Schwab

Gustav Schwab

Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

Aus der Heraklessage

Herakles begehrte zu der feinen Mahlzeit auch einen guten Trunk. »Lieber Gast«, sprach Pholos, »es liegt wohl ein Faß in meinem Keller, dieses aber gehört allen Zentauren gemeinschaftlich zu, und ich trage Bedenken, es öffnen zu lassen, weil ich weiß, wie wenig die Zentauren nach Gästen fragen.« - »Öffne es nur guten Muts«, erwiderte Herakles; »ich verspreche dir, dich gegen alle ihre Anfälle zu verteidigen; mich dürstet!« Es hatte aber dieses Faß Bakchos, der Gott des Weines, selbst einem Zentauren mit dem Befehle übergeben, dasselbe nicht eher zu eröffnen, als bis nach vier Menschenaltern Herakles in dieser Gegend einkehren würde. So ging denn Pholos in den Keller; kaum aber hatte er das Faß eröffnet, so rochen die Zentauren den Duft des starken alten Weines und umringten, haufenweise herbeiströmend, mit Felsstücken und Fichtenstämmen bewaffnet, die Höhle des Pholos. Die ersten, die es wagten, einzudringen, jagte Herakles mit geschleuderten Feuerbränden zurück; die übrigen verfolgte er mit Pfeilschüssen bis nach Malea, wo der gute Zentaur Chiron, des Herakles alter Freund, wohnte. Zu diesem flüchteten seine Stammesbrüder. Aber Herakles hatte, als sie eben mit ihm zusammentrafen, mit dem Bogen auf sie gezielt und schoß einen Pfeil ab, der, durch den Arm eines andern Zentauren dringend, unglücklicherweise in das Knie Chirons fuhr und dort steckenblieb. Jetzt erst erkannte Herakles den Freund seiner früheren Tage, lief bekümmert hinzu, zog den Pfeil heraus und legte ein Heilmittel auf, das der arzneikundige Chiron selbst hergegeben hatte. Aber die Wunde, vom Gifte der Hyder durchdrungen, war unheilbar; der Zentaur ließ sich in seine Höhle bringen und wünschte, hier in den Armen seines Freundes zu sterben. Vergeblicher Wunsch! Der Arme hatte nicht daran gedacht, daß er zu seiner Qual unsterblich sei. Herakles nahm von dem Gequälten unter vielen Tränen Abschied und versprach ihm, es koste, was es wolle, den Tod, den Erlöser, zu senden. Wir wissen aus der Sage von Prometheus, daß er Wort gehalten hat. Als Herakles von der Verfolgung der übrigen Zentauren in seines Freundes Höhle zurückkehrte, fand er Pholos, seinen liebreichen Wirt, auch tot. Dieser hatte aus einem Zentaurenleichnam den Todespfeil gezogen; während er sich nun wunderte, wie ein so kleines Ding so große Geschöpfe hatte niederwerfen können, entglitt