Gustav Schwab

Gustav Schwab

Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

Aus der Heraklessage

Derweil hatte Deïanira in Sorgen zu Hause auf Nachricht von ihrem Gatten geharrt. Endlich jauchzte im Palaste Freudengeschrei empor. Ein Bote kam herangesprengt: »Dein Gemahl, o Fürstin, lebt« - so meldete er der ängstlich auf seine Botschaft Horchenden -, »naht in Siegesruhm und führt jetzt eben die Erstlinge des Kampfes den heimatlichen Göttern zu. Sein Diener Lichas, den er hinter mir her gesendet hat, verkündet auf offener Wiese dem Volke den Sieg. Seine eigene Ankunft verzögert sich nur dadurch, daß er auf Euböas Vorgebirge Kenaion dem Zeus das schuldige Dankopfer darzubringen sich anschickt.« Bald erschien der Abgeordnete des Helden, Lichas, und in seinem Geleite die Gefangenen. »Heil dir, Gemahlin meines Herrn«, sprach er zu Deïanira; »die Himmlischen lieben den Frevel nicht: Herakles gerechte Sache ist gesegnet worden; die üppigen Prahler mit ihrem verruchten Munde sind alle in den Hades hinabgeeilt, die Stadt ist in Knechtschaft. Doch der Gefangenen, die wir hier bringen, sollst du schonen, läßt dein Gemahl dir sagen, vor allem der unglücklichen Jungfrau, die sich hier vor deine Füße wirft.« Deïanira heftete einen Blick voll tiefen Mitleids auf das schöne, jugendliche Mädchen, das von Gestalt und Auge lieblich glänzte, erhob sie vom Boden und sprach: »Ja, ihr Lieben, herbes Mitgefühl hat mich gefaßt, sooft ich Unglückselige heimatlos durch fremde Landschaft herumgeschleppt und Freigeborne Sklavenlos dulden sah. Zeus Überwinder, mögest du nie deinen Arm so gegen mein Haus erheben! Aber wer bist du, jammervolles Mägdlein? Du scheinst unvermählt und von hohem Stamme! Sage mir, Lichas, wer sind die Eltern dieser Jungfrau?« - »Wie weiß ich das? Weswegen fragst du dies?« antwortete der Abgesandte mit verstelltem Sinne, und seine Miene verriet ein Geheimnis. »Sie ist«, fuhr er nach einigem Zögern fort, »gewiß aus keinem der niedrigsten Häuser Öchalias.« Da das arme Mädchen selbst nur seufzte und schwieg, so forschte Deïanira auch nicht weiter, sondern befahl, sie in das Haus zu führen und dort auf das schonendste zu behandeln. Während Lichas diesem Befehl Folge leistete, trat der zuerst angekommene Bote seiner Gebieterin näher, und sobald er sich unbelauscht wußte, flüsterte er ihr die Worte zu: »Traue dem Abgesandten deines Gemahls nicht, Deïanira. Er verbirgt dir die Wahrheit. Aus seinem eigenen