Gustav Schwab

Gustav Schwab

Die schönsten Sagen des klassischen Altertums

Aus der Heraklessage

Munde habe ich mitten auf dem Marktplatz von Trachis in vieler Zeugen Gegenwart gehört, daß dein Gatte Herakles ganz allein um dieser Jungfrau willen die hohe Burg Öchalias niedergeworfen hat. Es ist Iole, die Tochter des Eurytos, die du aufgenommen hast, von deren Liebe Herakles entbrannt war, ehe er dich kennengelernt hat. Nicht als deine Sklavin, sondern als deine Nebenbuhlerin, als Nebenweib ist sie in dein Haus gekommen!« Über diese Mitteilung brach Deïanira in laute Wehklagen aus. Doch faßte sie sich bald wieder und rief den Diener ihres Gatten, Lichas, selbst herbei. Dieser schwur anfangs beim höchsten Zeus, daß er ihr die Wahrheit gesagt habe und ihm unbewußt sei, wer die Eltern der Jungfrau waren. Lange beharrte er bei dieser Lüge. Deïanira aber beschwor ihn, des höchsten Zeus nicht länger zu spotten. »Wäre es auch möglich, daß ich meinem Gatten seiner Untreue wegen abhold würde« , sagte sie zu ihm weinend, »so bin ich nicht so unedler Gesinnung, daß ich dieser Jungfrau zürne, die mir nie einen Schimpf angetan hat. Nur mit Mitleiden schaue ich sie an; denn ihr hat die Schönheit all ihr Lebensglück zertrümmert, ja ihr ganzes Geburtsland in Knechtschaft gestürzt!« Als Lichas sie so menschlich reden hörte, gestand er alles. Hierauf entließ ihn Deïanira ohne Vorwurf und befahl ihm, nur so lange zu warten, bis sie für die reiche Schar von Gefangenen, die der Gemahl ihr zugesendet und zur Verfügung gestellt hatte, diesem eine Gegengabe gerüstet hatte.

Fern vom Feuer, unberührt vom Strahle des Lichtes hatte Deïanira, der Vorschrift des tückischen Zentauren gemäß, die Salbe, die sie vom giftigen Blute seiner Pfeilwunde gesammelt, am verborgenen Orte bewahrt. An dieses Zaubermittel, das sie, unerfahren in den Ränken, welche Rache spinnt, für ganz unschädlich hielt und das ihr nur das Herz und die Treue des Gatten wiedergewinnen sollte, dachte nun die bedrängte Fürstin zum ersten Male wieder, seit sie es sorgsam verhüllt im Schranke geborgen. Jetzt galt es zu handeln. Sie schlich sich daher in das Gemach und färbte mit einer Flocke von weißem Lämmervliese, welche, sie mit der Salbe getränkt hatte, im Verborgenen ein köstliches Unterkleid, das für Herakles bestimmt war. Sorgfältig hütete sie während dieser Arbeit Flocke und Gewand vor dem Sonnenstrahl und schloß das blutrot gefärbte Kleid, schön